Alleine weiter - vier Abschnitte des Rheinsteigs in drei Tagen

Rheinsteig-Etappe 9: Kestert- Kamp-Bornhofen 12,1km
Etappe 10: Kamp-Bornhofen – Braubach, 16,7 km
Etappe 11: Braubach - Niederlahnstein, 8.3 km
Etappe 12: Niederlahnstein – Koblenz - Ehrenbreitenstein


23.10.2021 Start ab Kestert

Um 6:30 Uhr geht es mit der Bahn ab Hirschhorn in Richtung Rheintal. In Kestert komme ich mit Verspätung um 11 Uhr an. Die Hänge des Rheintals sind nicht sichtbar. Tief hängen die Wolken aber hoch die Hoffnung auf Sonne am Nachmittag.
Mir ging noch etwas die Begegnung mit einem obdachlosen Mann durch den Kopf. Wir teilten uns die Bank, während ich auf den nächsten Zug wartete. Er war aus dem Krankenhaus entlassen und vertrieb sich sich die Zeit auf dem Bahnhof. Er erzählte von seinem Schicksal und seinen Verletzungen. Zeigte mir zu guterletzt noch sein Bein mit….oh weh…. nein, ich beschreibe es hier nicht. Ich war tief berührt und fast dankbar, als ich endlich aufbrechen konnte. Er bedankte sich für das Gespräch und die Wertschätzung, die ich ihm damit entgegenbrachte. Ich hätte seinen Tag erhellt …... einen dicken Kloß hatte ich im Hals.

Diese Gedanken begleiteten mich die ersten Stunden meiner Wanderschaft. Der Nachmittag verflog schnell und da es zu dieser Jahreszeit schon früh dunkel wird, musste ich darüber nachdenken, wie ich an Trinkwasser komme und welche Schutzhütte mein erstes Nachtlager werden sollte. Während einer kurzen Pause wurde die Karte auf dem Handy studiert. Drei Bächlein sollte es geben, ehe ich mein Nachtplatz erreichen sollte. Ich wanderte leicht und die Sonne begleitete den Weg, ein paar wenige Wanderer begegneten mir. Man grüßte freundlich, manchmal auch ein kurzes Gespräch, um dann fröhlich weiter des Weges zu wandern.


Der erste Bach entpuppte sich als…..nicht Wasser führend :-(. Nun ja, es kommen noch zwei, dachte ich mir. Doch Nummer 2 war geländetechnisch nicht erreichbar :-(. Langsam wurde es eng und ich überlegte Plan B. Zurück nach Osterspai oder in der Dunkelheit weiter bis endgültig ein Bach Wasser hergab. Laut Karte kamen ein paar Kilometer weiter auf jeden Fall noch einmal drei Bäche.
So richtig Lust auf noch viele Kilometer hatte ich nicht, Hunger und Müdigkeit machten sich breit. 22 Km sollten genug sein für einen halben Tag. Etwas lustlos ging ich weiter und …..traute meinen Augen nicht, als plötzlich eine nigelnagelneue Hütte auftauchte. Juhuuuuu eine tolle Veranda, ein geschütztes Eck für meine Schlafmatte. Die Krönung kam noch als ich eine Tür, die, wie ich vermutete, die Toilette beherbergt, öffnete. Jawollllll nicht verschlossen und ein Klo mit Waschbecken, sogar Toilettenpapier stand zur Verfügung. Konnte mein Glück kaum fassen und bereitete mein Lager. Als erstes setzte ich Wasser für Tee und Kartoffel mit Rindfleisch auf. Bis das Wasser kochte wurde die Luftmatratze aufgeblasen und der Daunenschlafsack durfte sich entfalten. Die Nacht kam dann schneller als ich gedacht hatte und es wurde empfindlich kalt. Also streifte ich mir eine warme Hose über und die Daunenjacke nebst Handschuhen und Mütze.

Der Kartoffelstampf mit Rindfleisch ist ein Fertiggericht, welches nur mit kochendem Wasser übergossen werden muss. Nach 8 Minuten ist es fertig zum Verzehr und schmeckt sogar sehr lecker. In die beginnende Nacht hinein genieße ich die warme Mahlzeit. Wenn man nach etlichen Stunden strammer Bewegung zur Ruhe kommt, der Kreislauf sich senkt und Entspannung sich ausbreitet, dann bekommt die Kälte eine Angriffsfläche. Das ist nicht zu unterschätzen! Oft hat man bei kaltem Wetter auch zu wenig getrunken und muss das aufholen. Man wird jedoch auch sehr müde und möchte am liebsten nur schlafen. Ich habe es schon erlebt, dass ich zu müde zu allem war und auf Essen und Trinken verzichtete, nur um einfach so schnell wie möglich zu schlafen können. In Verbindung mit Temperaturen um den Gefrierpunkt kann man sich damit in Lebensgefahr bringen.

Nun gut, ich teile meine Energiereserven immer gut genug ein, so dass noch für alle notwendigen Versorgungspunkte Energie vorhanden ist. Das habe ich gelernt und trainiert und es garantiert mir - wenn nötig - einen nächsten Ort zu erreichen oder andere notwendige Maßnahmen einzuleiten. Ohne dieses Sicherheitspolster begebe ich mich nicht alleine auf eine Wanderung!
Gegessen, Getrunken, frisch gemacht und das Schlafshirt am Leib schlupfe ich gegen 20 Uhr in den Schlafsack. Herrlich, sich nach einem langen Tag auf der Schlafmatte auszustrecken. Mein Blick gleitet hinaus in den Himmel, wo sich immer mehr Sterne ein Stelldichein geben. Schnell wird mir mollig warm in dem Sack, der bis oben zugebunden ist. Ohhhhhh wie ich mich wohl fühle in meiner Haut und an diesem schönen Ort. Mit diesem Gedanken schlafe ich selig ein.


24.10.2021 Richtung Niederlahnstein

Nach einer Nacht, in der ich wie in Abrahams Schoss geschlafen habe, erwache ich früh, nein eigentlich spät. Der Himmel dämmert bereits dem Tag entgegen, es ist 7 Uhr und ich fühle mich fit. Sollten noch Zellen am Schlafen sein: die Temperatur ist da angekommen, bei der herabgefallene Blätter am Boden einen weißen Rand bekommen.

Aus dem Schlafsack in die Kleider ist der Weg, auf dem auch die letzten Zellen meines Körpers begreifen: ein neues Abenteuer steht in den Startlöchern, also aufgewacht! Zum Glück ist der dampfende Kaffee schnell zubereitet, dazu ein Riegel und alle Habseligkeiten wieder in den Rucksack verstauen. In umgekehrter Reihenfolge wie die Dinge am Abend den Sack verlassen haben, finden sie wieder dahin zurück.


Acht Uhr: Als es hell wird, bin ich wieder zurück auf dem Rheinsteig. Siehe da, die Bächlein, die ich überqueren muss, führen Wasser. Etwa 4 Km nach der Florianshütte gibt es eine weitere Hütte. Ebenfalls neu und mit tollen Sitzgelegenheiten. Eigentlich müsste man einen traumhaften Ausblick haben, aber die Wolken hängen tief und vom Rheintal ist absolut nichts zu sehen.
So wandere ich durch mystischen Wald und genoss diese ganz andere Seite vom Herbst.
Ich freue mich, als ich nach Braubach komme und mein Blick die Bäckerei streift. Der Duft von leckeren Kuchen …... ohhhhhh wie kann ich da widerstehen? Gar nicht! Ich gehe hinein und gönne mir einen Becher Kaffee, dazu eine eingeschlagene Nussecke. Das Ganze trage ich auf den nächsten Berg zur nächsten Bank und dann - ich kann euch sagen: es ist einfach nur lecker und erquickt Körper und Seele :-).

So beseelt wandere ich leichten Fußes weiter, Niederlahnstein das Ziel für den heutigen Tag. Etwas Tag ist noch übrig und bei herrlichstem Wetter auch die Wanderlust. So überquere ich gegen den späten Nachmittag die Lahn bei Friedland, um von dort aus noch die ca. 3 km lange Ruppertsklamm zu durchwandern. Zuvor aber gönnte ich mir im kleinen Gasthaus am Hafen ein Radler, genieße die letzten Sonnenstrahlen und freue mich auf die Klamm. Hoffentlich wird sich die Hütte am Ausgang der Klamm als guter Nachtplatz eignen. Zumindest Wasser sollte es geben, das war sicher.


Am Eingang noch schnell ein Foto zur Erinnerung und dann aber los, sonst ist es dunkel, bis ich durch bin. Eine kleine Brücke am unteren Ende der Klamm führt über den Bach und mir entgegen kommt ein Vater mit seinem etwa 8 Jahre alten Sohn. Er turnt auf der Brücke und ich will warten, bis sie darüber sind (Corona-Abstand halt). Ich frage den Jungen, ob er ein tolles Abenteuer hatte so durch die Schlucht. Er antwortete munter, „Wir sind nicht bis ganz oben gewesen weil, ich möchte noch beim Papa zu Abend essen. Meine Eltern haben sich getrennt und ich darf bei Beiden sein. Montag, Dienstag bei Mama, Mittwoch, Donnerstag bei Papa, Freitag, Samstag bei Mama und Sonntag bis abends beim Papa.“ Er strahlte mich dabei an und ich erwiderte ihm: „Das ist doch super! So haben Alle eine ganze Menge Zeit mit dir zusammen.“
Er turnt immer noch vor mir auf der Brücke herum und plötzlich meint er: „Zwei Mädchen aus meiner Klasse sagen, ich hätte sehr schöne Augen“
Ich muss so herzlich in mich hinein lachen und sage zu ihm. „Komm lass mich mal schauen ob das so ist“.
„JAAAAAA, das stimmt“, bestätige ich seine Worte, „die sind sehr schön.“ Da drängt - ich glaube, dem Papa war das dann bissel peinlich - er zum weitergehen. Wir verabschieden uns fröhlich und wünschen einander alles Gute.
Ich glaube ich hatte das Lachen bis zum Ende der Klamm im Gesicht stehen.

Als ich entlang des Bächlein oben ankam und bereits Wasser gefasst hatte, schwand bei dem Anblick der Hütte die Hoffnung auf einen Schlafplatz schlagartig. Eine dunkle, riesige Hütte mit bestimmt zehn Tischen und Bänken erwartete mich wie der Schlund eines Monsters. Hilfe nein, keine 10 Pferde bringen mich dazu, in diesem schaurigen Gebäude zu übernachten.

Ich hatte von der anderen Talseite einen Aussichtsplatz mit Dach gesehen. Dahin wollte ich weiter gehen. Etwa 1,5 km Weg weiter auf einem ebenen Panoramaweg im felsigen Hang und ich kam gerade noch bei Tageslicht an, wurde mit einem schönen Sonnenuntergang willkommen geheißen. Die kleine Hütte, eher nur ein Unterstand und etwas oberhalb des Weges gelegen, verfügte über eine Seelenbaumelbank sowie Tisch und Bank. Einfach genial und mein Glück war perfekt, rundum zufrieden nach 27 gewanderten Kilometern. Es folgte das gleiche Prozedere wie den Abend zuvor. Um 21 Uhr schlief ich mit Blick in den Sternenhimmel glücklich ein.

Einmal, mitten in der Nacht, wachte ich auf. Der Sternenhimmel leuchtete und die Mondsichel ebenfalls. Mein Blick Richtung Lahntal: Ohhhhhh weiß wie Schnee lag da unten die Wolkendecke. So ein traumhafter Anblick. Als ich morgens wieder erwachte gab es um mich herum nichts als Nebel. Der Schlafsack war feucht im Kopfbereich, aber sonst alles warm und trocken.

25.10.2021 Bis nach Koblenz

Ich war früh auf, 6 Uhr und im Schein der Stirnlampe bereitete ich mir Frühstück und danach folgte das übliche Verpackungsritual sämtlicher Gegenstände. Es ist seltsam, wie einfach man für alles sorgen kann mit geringem Aufwand und doch solche Glücksgefühle geschenkt bekommt. Zum Beispiel diesen Luxus einer Tasse heißen Tees, der jede Zelle des Körpers zu erwärmen scheint. Diese Brezel vom Vortag, die die nötige Energie liefert und so lecker schmeckt, weil sie eine große Aufgabe zu erfüllen hat.

Ich stehe in dem kleinen Unterschlupf und versuche, mit so wenig Licht wie möglich und so viel wie nötig, meine Sachen zu packen. Wie wichtig da plötzlich die einzelnen Gegenstände sind, weil sie enorme Wichtigkeit und Bedeutung haben. Du prägst dir automatisch ein, wo was liegt und du darfst nichts zurücklassen, weil alles, was du dabeihast, auch das ist, was du auch brauchst.
Das war vor Jahren ganz anders, geht es mir durch den Kopf. Wie viel unnötiges Zeug fand doch immer wieder den Weg in den Rucksack. Erst seit Neuseeland habe ich angefangen, tatsächlich zu minimieren. Was soll ich sagen: es gelingt mir immer besser, die wirklich wesentlichen und wichtigen Dinge für die Seele im Herzen dabei zu haben statt im immer schwer werdenden Rucksack. Die Dinge des täglichen Lebens, die passen nämlich tatsächlich in einen Rucksack, der letztendlich gerade mal 6 kg wiegt ohne Wasser und Nahrung.

Früh schon im ersten Tageslicht bin ich wieder auf dem Rheinsteig unterwegs. Das letzte Ziel dieser wenigen Wandertage ist Koblenz-Ehrenbreitenstein. Am Abend geht es dann ab Koblenz mit der Bahn nach Hause.
Zunächst aber geht es durch mystischen Eichenwald im Nebel weiter auf dem Rheinsteig. Es gibt kaum Worte, die beschreiben können, welche Gefühle mich so früh am Morgen beim Wandern begleiten.


Es ist eine Art Demut und Dankbarkeit, die mich dann überkommt. Es ist das Gefühl, wie neu geboren zu sein nach einer Nacht, in der alle Zellen mit Frischluft geflutet wurden. Und es ist eine Neugier, die mich befällt, geboren aus der Energie des heraufsteigenden Tages, eines Tages, dessen Anfang ich in diesen Momenten intensiv erlebe und dessen Ende so fern scheint. Einzig der Augenblick zählt! Und so reiht sich an jedem einzelnen Wandertag Augenblick an Augenblick und befriedigt meine Neugierde auf das Leben selbst - bis der Tag sich an seinem Ende im Dunkel der nächsten Nacht auflöst.

Das Handy läutet ….. ein Reh blickt mich aus der idyllischen Natur direkt an …..
Ich gehe dran, denn ich hatte einer lieben Person versprochen, da zu sein. Das Schicksal kennt mehr als die Natur, es ist eine spezielle Naturgewalt unter den Menschen. Zur Zeit wütet das Schicksal wie ein Tornado durch die Welt.....
Das Reh steht währenddessen still da, die ersten Sonnenstrahlen dringen durch den Nebel und ein Bild entsteht. Ein Bild weit entfernt von den Worten, die mein Ohr erreichen. Bin versucht, all das Übel einfach zu verdrängen, gar nicht bewusst werden zu lassen.....
Das Reh schaut mich an und mir ist klar, Bewusstsein ist allgegenwärtig, Schicksal ist ein Teil der Naturgewalt. Du bist im Hier und Jetzt und Beides zu erleben ist Teil eines großen Ganzen. Es darf nebeneinander sein, es ist nebeneinander, ob ich will oder nicht.
Plötzlich denke ich an meine Mom, ihre letzte Reise, denke an die Menschen, welche ich bisher im Leben schon habe gehen lassen müssen. Vertrauen und Loslassen...... welch große Lektion im Leben, die zu lernen wohl eine der größten Herausforderungen ist.

Der Rheinsteig führt in seinem weiteren Verlauf direkt hinunter in den Nebel. Das möchte ich nicht und so wechsle ich den Weg. Rheinhöhenweg klingt gut und ich folge ihm. Letztendlich kamen die beiden Wege wieder zusammen und erreichten Koblenz-Ehrenbreitenstein. Es ist Mittagszeit und ich habe Hunger. So kehre ich in einem kleinen uralten Wirtshaus ein. Die Beleuchtung weckt das Gefühl später Stunde :-) und das Essen ist entsprechend „abgelegen“ ;-).


Da der Tag noch reichlich Zeit übrig hat, will ich eine Etappe weiter wandern. Doch auf der Festung Ehrenbreitenstein ist der Weg dann zu Ende ….. Sturmschäden. Alla hopp, dann nehme ich das Zeichen an und durchstreife noch Koblenz. Zum Dreiländereck mit der Fähre übergesetzt, um auf die Koblenzer Seite zu gelangen. Zum Trost über den versperrten Weiterweg esse ich eine Rindswurst mit Senf. Boahhhh die ist lecker :-)

Ich entscheide mich nach Erkundung der Stadt zu Fuß schließlich doch, einen früheren Zug nach Hause zu nehmen. So gehen drei tolle Wandertage auf dem Rheinsteig glücklich zu Ende.

 

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