563 km auf dem Pilgerweg von Florenz nach Rom

Einmal über die Alpen wandern und dann weiter auf dem Franziskusweg nach Rom. So war der Plan für den Herbst 2017. Der Zeitpunkt ergab sich aus einer ganz besonderen Situation heraus.

 Der Vater meines ältesten Sohnes war an Krebs erkrankt. Eine gute Freundschaft aus über 30 Jahren hielt das Bedürfnis aufrecht, für den Menschen da zu sein. Abrufbar zu sein, um schnellstmöglich wieder Zuhause sein zu können. Dazu aber sollte es auch eine Reise auf eine von mir geliebte Weise werden und dabei das Leben zu bitten und zu ehren.

 Also ging es nach kurzer Organisation und Vorbereitung am 13 September los. Vom Bodensee und auf dem E5 zunächst nach Oberstdorf, um von dort in die wirkliche Bergwelt aufzusteigen und die Alpen bis nach Bozen zu überqueren.

 Das Wetter war in diesem Jahr nicht so sehr gut und so kam es anders als gewünscht. In Oberstdorf angekommen war der Ort schon vom Wintereinbruch gezeichnet. Schnell wurde in den nächsten zwei Tage klar, das wird nichts! Der Wintereinbruch hätte bedeutet, ab einer Höhe von 1200m durchgehend im Schnee zu wandern.

So packte ich die Ausrüstung um, schickte einen Teil wieder nach Hause. Auf dem Weg nach Rom würde ich verschiedene Dinge nicht brauchen. Kurzerhand löste ich eine Zugfahrkarte nach Bozen und wechselte auf die sonnige Seite der Alpen und des Weges.

Es erwartete mich herbstliches Traumwetter, wie man es sich schöner nicht vorstellen konnte. Meine Freundin aus Jenesien staunte nicht schlecht, als sie mich abends vor der Tür ihres Hauses in der Dämmerung stehen sah. Mit ihren 80 Jahren war das schon eine Überraschung, mit der sie nicht oder sagen wir lieber: noch nicht gerechnet hat. Denn angemeldet war ich für 9 Tage später. Die Freude war dennoch groß und ich herzlich willkommen.

Da war ich nun und hatte einen Überhang von 9 Tagen….. was tun?

Ich brauchte nicht lange überlegen bei dem herrlichen Wetter. Meraner Höhenweg lautete der Entschluss. Von Jenesien über die Meraner Hütte, den Hirzer Jägersteig rüber auf den Meraner Höhenweg. Ein Traum für alle, die die Berge lieben und dem Wandern zugetan sind. Viele spannende Momente, tolle Begegnungen, besondere Schlafplätze und viel Raum, die letzten, anstrengenden Monate hinter mir zu lassen.

Es war eine tolle Erfahrung und sie zu beschreiben würde den Rahmen hier sprengen.

Zurück bei meiner Freundin gönnte ich mir noch ein paar Tage Ruhe, um die letzten Vorbereitungen für den Franziskusweg zu treffen.

Am 1.Oktober, an meinem Geburtstag, ging es mit der Bahn nach Florenz und von dort auf den Pilgerweg, der mich nach Rom führen sollte.
Den Pilgerführer in der Tasche, ein GPS Gerät mit den entsprechenden Daten zur Unterstützung. Hatte ich doch im Vorfeld so manches gelesen über schlechte Kennzeichnung und unkenntliche Pfade. Was mich alles erwarten würde, konnte ich mir noch nicht vorstellen, sollte es aber bald herausfinden.

Landschaftlich ist der 563 km lange Weg einfach wundervoll. Durch die Toskana entlang den Linien der Apenninen, durch Umbrien auf Rom zu. Er endet in Rom an der Kirche St. Johann im Lateran.
Ich wanderte den Weg in 24 Tagesetappen, übernachtete unter freiem Himmel, in Herbergen und Klöstern. Genoss die Momente der Stille in mancher Kirche und betete leise um Vieles, was in meinem Inneren für Aufruhr sorgte.


Eine besondere Nacht möchte ich schildern, denn sie steht für die körperliche wie mentale Grenze, die gefühlt aus dem Nichts kommt und einen verändert wieder verlässt:

Ich war den ganzen Tag durch die Berge gewandert. Es war heiß und die Sonne erschöpfte. So habe ich zwar kaum die Landschaft, dafür aber jeden Brunnen in einprägsamer Erinnerung. Als der Abend kam, fielen die Schritte wieder leichter, aber ich war auch müde und hungrig. Ein Nachtplatz musste gefunden werden, am liebsten natürlich mit einer schönen Aussicht auf den Sonnenaufgang am nächsten Tag.

Auf einer Anhöhe wurde ich fündig, schön weich das Gras und herrlich der Ausblick. Schnell stellte ich meine Bleibe auf, vom Zelt nutzte ich nur das Überzelt. Auf das Innenzelt hatte ich aus Gründen des Gewichts verzichtet. Mein Schlafsack auf der Isomatte ausgerollt, ein guter, wasserdichter, der mich auch bei Minusgraden warm halten konnte.

Den kleinen Gaskocher angeschmissen und schnell einen großen Topf heißes Wasser für Tee und Fertiggericht aufgesetzt.

Noch während ich damit beschäftigt und in Gedanken versunken war, hörte ich die ersten Donner, reagierte aber nicht. Der Wind frischte auf in buchstäblicher Windeseile und ehe ich mich versah war es da. Der Kocher ausgeblasen, kein Tee, kein Essen, alles schnell am Zelt verstaut. Die ersten riesigen Tropfen trafen mich, als ich noch die Heringe kontrollierte und alle Schnüre festgezogen habe. Es wurde schlagartig dunkel und der Wind zerrte an allem. Die sowieso niedrigen Büsche schienen sich noch weiter zum Erdboden zu ducken. Ehrfurcht oder Angst ……

Schnell rein ins Zelt und in den Schlafsack, nahm das Handy zur Hand und wollte ein paar Zeilen an die Lieben zuhause senden. Ich kam nicht mehr dazu, starke Sturmböen zerrten an der Zeltplane und ich musste das Gestänge mit mindestens einer Hand festhalten. Mit der anderen stopfte ich mir schnell einen Riegel in den Mund, denn der Hunger tat langsam weh. Es sollte gleich noch ganz anders schmerzen, denn vom Himmel kamen plötzlich Hagelkörner, ich musste das Gestänge mit beiden Händen halten und die Hagelkörner schlugen kraftvoll auf die inzwischen kalten Handrücken. Die Tränen liefen über meine Wangen und mein Blick fixierte den Captain Bär, meinen treuer Begleiter in seinem mit den Jahren verschlissenen Anzug über dem ergrauten Pelz. Captain Bär, das Geschenk eines lieben Gefährten, der 2008 leider viel zu früh sterben musste. Seither begleitet mich der Captain auf allen Reisen und gibt Halt in dunkler Stunde. So wie heute.
Viel dunkler kann es nicht werden, dachte ich und verdrängte alle Gedanken nach hinten. Fing an zu beten …… heulend, schluchzend, klein wie das kleinste Teil in mir.

Hilflos ….lieber Gott, lass nicht zu, dass mir Schaden geschieht, du hast versprochen über mich schützend deine Hand zu halten, bitte lass das Unwetter vorüber ziehen….bitte bitte bitte.

Draußen jagten die Blitze über den Himmel und durchbrachen mit ihrem Flackerlicht das Dunkel des Unwetters. Donner und Blitz küssten sich da oben und ich fürchtete mich.

Eine gefühlte Ewigkeit saß ich still die Hände am Gestänge des Zelts, die innere Panik legte sich und ich traute eine Hand zu lösen. Versuchen auf dem Handy zu schauen, wie lange das Wetter noch bleiben würde.

Hatte Mühe das Handy zu bedienen und die Wetterapp zu öffnen. Hoffnung keimte auf, noch etwa 30 Minuten, dann müsste der Gewittersturm durch sein. So war es auch, sogar schon früher und ich war am Ende meiner Kräfte, schlief erschöpft ein. Dieses Unwetter mit seiner Urgewalt war die schlimmste Situation des gesamten Pilgerwegs.

Eine andere Episode erzählt ein wenig etwas von der Magie eines Pilgerweges:

Es war an meinem vierten Wandertag, ich genoss die herrliche Landschaft und wanderte stramm und freudvoll vor mich hin. Da war sie plötzlich, diese kleine Gruppe von Wanderern und ich mit einem Mal mitten drin. Natürlich kommt man ins Gespräch und ich genoss die Abwechslung. Nach einiger Zeit fragte mich der Führer und Organisator: „Hast du nicht Lust, dich uns für den Rest des Tages und die Übernachtung anzuschließen? Eine unserer Mitwanderinnen musste abbrechen und nach Hause reisen, wir haben einen Platz frei.“
Ich staunte mit großen Augen und freute mich über dieses Angebot, dass ich sehr gerne dankbar annahm. So kam es, dass ich herzlich in die Gruppe aufgenommen wurde. Ich lies mich einfach mittragen durch den Abend in einem kleinen Ort. Beim gemeinsamen Abendessen, dem gemütlichen Beisammensein und dem Zuweisen eines Schlafplatzes.
Was soll ich sagen, es war einfach bezaubernd und irgendwie magisch, ich fühlte mich glücklich! Am nächsten Morgen wanderte ich mit der Gruppe bis zum Kloster La Verna. Dort übernachtete die Gruppe ein letztes Mal und ich verabschiedete mich herzlich.
Ich wollte die Auslagen bezahlen, aber davon wollte niemand etwas wissen. Mit herzlichem Dank und beseelt von schönen Momenten marschierte ich noch in die Nacht hinein, ehe ich mich zum Schlafen unterm Sternenhimmel in den Schlafsack zurück zog.

Noch öfter war die Wanderung von Magie getragen. Zum Beispiel in einem Kloster, in dem ich für die Nacht ein Quartier erbeten wollte, mich aber die Schwestern überhaupt nicht verstanden. Ich spreche kein Italienisch und sie sprachen kein Deutsch oder Englisch. Dennoch verstanden wir uns und ich schlief wie ein Engel in der kleinen Kemenate. Am Morgen habe ich mit den Schwestern zusammen die Andacht besucht und danach ein einfaches Frühstück bekommen. Beim Verlassen des Klosters lies ich als Dank eine Spende zurück und was mit mir ging, war ein warmes Gefühl von Behütetsein auf meinem Weg.

 

Nach 24 Tagesetappen kam ich in Rom an, buchte ein Bett im Hostel und ging mir eine neue Hose kaufen. Ganz ehrlich, ich konnte die wochenlang getragenen Klamotten nicht mehr sehen. Ein Paar einfache Turnschuhe, um die Wanderschuhe von den Füßen zu bekommen. Ich freute mich, dass ich es geschafft hatte, bis nach Rom zu pilgern. Juhuuuuuu und so ging ich mir meine Pilgerurkunde abholen. Sagen wir, ich wollte, denn das Büro hatte geschlossen. Was allerdings stattfinden sollte, war eine Audienz beim Papst. Huiiiii was mach ich denn nun, das wollte ich mir nicht entgehen lassen. Just wenn ich nach Rom gepilgert komme, eine solche Veranstaltung. Hmmmmm.... man kommt nur mit Pilgerurkunde rein, die ist sozusagen gleichzeitig die Einladung. Ich dachte, „Paaahhhh, wenn jemand da hin darf, bin ich das nach dem langen Weg!“. So stellte ich mich in die Schlangen von Menschen, die alle auf den Petersplatz wollten.

Durch die Sicherheitskontrollen und ich wedelte mit meinem Pilgerausweis, als wäre er die Einladung in Gold :-). Es hat funktioniert und ich saß mitten drin in der Masse von Menschen mit unterschiedlich farbigen Schildmützen, Diözese Mainz in Rosa und noch viele mehr. Alle wurden sie namentlich benannt, extra angereist, um den Papst zu ehren.
Was denkt ihr? Genau: die kleinen Fußpilger, die wochenlang unterwegs waren. Ja sie wurden nicht namentlich erwähnt. Da war das in Santiago de Compostela bei der Pilgermesse viel schöner. Egal nun war ich da und spannend war es ohnehin. Zudem habe ich den Weg ja nicht wegen Papst Franziskus gemacht, sondern für mich selbst.

Ich genoss die drei Tage Rom und am 27.10. ging dann der Flieger nach Hause in den Odenwald.

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